Ihr wollt es dunkler!


Ich bin ein großer Stephen King Fan. Ich bin mir sicher, dass ich die Bücher und Kurzgeschichten, die ich nicht von ihm gelesen habe, an einer Hand abzählen kann.
Das erstes Buch von ihm hab ich mit 12 oder 13 verschlungen, während ich mein übellauniges Teenagerdasein auf einem dreiwöchigen Campingurlaub bemitleiden durfte. Vielleicht wäre eine andere Lektüre als “Es” in dem Alter besser gewesen, aber ich hatte schon den Zweiteiler (heimlich) in Teilen gesehen und meine Eltern wussten nicht wirklich, was ich da las. Die Neunziger waren in vielen Dingen unschuldiger, als die heutigen Zeiten.

Berüchtigte Leseabbrüche gab es kaum. Mit “The Dome” hab ich mich sehr schwer getan und viele Kurzgeschichten aus seinen anfänglichen Schaffensphasen haben mich auch nicht so ganz abgeholt. Aber ich glaube, King ist einer der Gründe, wieso ich mit dem Schreiben angefangen habe, denn ich mochte die Leichtigkeit, mit der seine Geschichten in die Köpfe der Leute kriechen und sich dort eine Weile festsetzen können, bevor der Alltag sie wieder heraus spült.
King hat schon viele Welten geschaffen und wird vielleicht noch einige Beiträge auf dieser Seite gewidmet bekommen. Aber seine aktuellste Kurzgeschichtensammlung hat mich wirklich in ihren Bann gezogen. Die einzige andere Kurzgeschichtensammlung, die es bisher geschafft hatte, mich am Ende von so vielen ihrer Geschichten eine Weile über das eben gelesene reflektieren zu lassen, war “Zerbrechliche Dinge” von Neil Gaiman.
Nach der Lektüre von “Ihr wollt es dunkler” ging es mir genauso. Jede Geschichte hat einen Twist oder Unterton, der mich mindestens innehalten ließ. Da die einzelnen Geschichten sehr unterschiedlich sind, werde ich zu jeder Geschichte meine Gedanken aufschreiben. Und da ich keine Spoiler verbreiten möchte, geht es hier eher um Gefühle und dramaturgisches Können von King und nicht um den wirklichen Twist, den die Storys mit sich bringen.

“Zwei begnadete Burschen” handelt von einem Schriftsteller, der in seinem Nachlass erklärt, wieso er ein so erfolgreicher Autor wurde. King geht dabei den klassischen Weg und erzählt die eigentliche Geschichte in Form eines Tagebuchs, deswegen liegt die Spannung wie so häufig nicht in der Frage “Wird der Protagonist überleben?”, sondern eher in der Reaktion seinen Sohnes auf ein Geständnis, dass jeden erschüttert hätte. Nachdem ich diese Geschichte fertig hatte, musste ich erst mal eine Weile über Talent an sich und den Wunsch nach Erfolg nachdenken, denn als Schriftsteller ist es ja immanent, dass man auch gelesen werden will. Aus der Geschichte ist auch die Idee zu einem Blogbeitrag über Talent, Übung, Erfolg und Intention entstanden. Aber da ich dieses Blogprojekt hier entspannt angehen möchte, wird der Artikel noch ein paar Tage oder Wochen auf sich warten lassen.

“Der fünfte Schritt” beschreibt den Wahnsinn, den man an einem sonnigen Tag in New York erleben kann, einer Stadt, in der die Frage nach dem Weg wie folgt gestellt wird: “Können Sie mir bitte sagen, wie ich zum Central Park gelange oder soll ich mich direkt verpissen?”
Die Geschichte hat mich auch eine Weile beschäftigt, weil ich ähnlich wie der Hauptdarsteller meine Ruhe sehr zu schätzen weiß, aber aus Höflichkeit einem Fremden trotzdem bei seiner Geschichte zugehört hätte. King schmückt hier nichts aus, er nimmt mich als Leser an die Hand, setzt mich gemeinsam mit der Hauptfigur Harold auf eine Bank und lässt einen Fremden mir seine Geschichte erzählen. Und dann schauen wir alle dabei zu, wie das Grauen seinen Lauf nimmt.

“Willie der Wirrkopf” hat mich bis fast zum Ende nicht abgeholt, aber auf den letzten Metern reißt King alles um, was er aufgebaut hat und lässt mich sprachlos zurück. Über die Geschichte denke ich immer noch in den ruhigen Stunden der Nacht nach, wenn ein (Sommer)Gewitter mich wach hält.

“Danny Coughlins böser Traum” hat auch lange gebraucht, bis ich mich auf das sehr gemächliche Tempo der Geschichte einlassen konnte und auch wenn es handwerklich sicher eine der besten Arbeiten von King ist, bin ich immer noch nicht sicher, ob ich die Geschichte mag. Ein Mann träumt von einer Leiche, findet sie tatsächlich und meldet den Mord der Polizei. Da der Mann noch nie hellseherische Träume hatte, glauben die Behörden ihm nicht und ein Spießroutenlauf beginnt.
Das ist ein toller Plot und King hat solide Charaktere aufgebaut, aber trotzdem stört mich etwas an der Story und ich kann einfach nicht den Finger drauf legen.

“Finn” wird vom Pech verfolgt und gerät in die Fänge eines Gangsterbosses. Mehr gibt es da nicht zu sagen und mehr ist mir auch nicht im Gedächtnis geblieben, auch wenn das Ende wirklich bemerkenswert ist wenn man bedenkt, dass – sehr hypothetisch – jeder in so eine Situation geraten könnte.

“Auf der Slide Inn Road” hat mich im Gegensatz zu Finn länger beschäftigt, denn wie schon bei “Mrs. Todds Abkürzung” aus der Sammlung “Der Gesang der Toten” scheint King es gerne zu beleuchten, was alles passieren kann, wenn man eine Abkürzung nimmt. Und wie im wahren Leben, gehen bei King Abkürzungen auch immer schief. Der philosophische Unterton soll hier einfach mal für sich wirken.

Die nächste Kurzgeschichte ist “Das rote Display”.
Uff! Einfach nur “uff”! Darüber musste ich am nächsten Morgen mit Freunden am Frühstückstisch reden, die Story hat mir keine Ruhe gelassen.
Grob geht es um einen Polizisten, der einen Klempner verhört, nachdem dieser seine Frau brutal ermordet hat. Er leugnet nichts und erklärt nur sehr sachlich, warum es eine Notwendigkeit war. Und dann beginnt King eine Achterbahnfahrt der Lesergefühle und bis zum vorletzten Satz kann der Leser sich nicht sicher sein, ob er der Klempner ein Spinner war. Das King das Ganze am Ende auflöst macht die Geschichte noch viel eindrücklicher.

Ich war letztes Jahr in Namibia im Urlaub und der elfstündige Flug hat mich im Vorfeld sehr gestresst. “Ein Fachmann für Turbulenzen“ war da sicher nicht die beste Lektüre, auch wenn sie eigentlich super positiv ist. King nimmt hier wieder das Motiv der “Firma” auf, die auch schon bei “Feuerkind” eine wichtige Rolle hatte. Scheinbar ist sie aber nicht ausschließlich böse.

“Laurie” kommt als Welpe zu einem trauernden Witwer und erlebt mit ihm in Florida ein haarsträubenden Abenteuer, an dessen Ende kein Hund zu Schaden kommt. Die Geschichte war schön, aber nicht sehr nachhaltig.

“Klapperschlangen” war da ein ganz anderes Kaliber. Die Geschichte ist genauso wie “Danny Coughlins böser Traum” eher eine Novelle, als eine Kurzgeschichte, aber ihr Grip war von Beginn an ein anderer. Was ist, wenn Eltern den Tod ihrer Kinder nicht verkraften und ein wenig in den Wahnsinn abrutschen, aber nicht genug, um wirklich unsympathisch zu sein. Und was ist, wenn gar nicht die Lebenden es sind, die an den Toten festhalten?

Eine Frage, die ich mir schon oft gestellt habe ist, was dabei raus kommt, wenn King sich an Lovecraft-Horror versucht. Mit “Die Träumenden” hat er mir diese Frage jetzt endlich beantwortet. Die Geschichte ist schnell im düsteren Aufbau, nimmt den Leser auf eine interessante Reise mit und hat zumindest bei mir ein beruhigendes Gefühl hinterlassen, als ich gesehen hab, dass der nächste Vollmond noch was hin ist. Bis dahin lese ich einfach ein paar unkritische Klassiker von Walter Moers oder Ben Aaronvich und werd sicher nicht mehr darüber nachdenken, was wir aus unseren Träumen mitbringen könnten. Ganz! Bestimmt! Nicht!

Die letzte Geschichte der Sammlung ist auch gleichzeitig die innovativste. Mit “Der Antwortmann” betrachtet King das Leben eines Mannes, der die Möglichkeit hat, jede Frage beantwortet zu bekommen, aber nur begrenzt Zeit hat und deswegen nicht alle Fragen stellen kann. Und stellen wir am Ende nicht die wichtigen Fragen, weil wir zu ungläubig sind, währen die Zeit läuft? Oder haben wir tief in uns drin einfach nur Angst die richtigen Fragen zu stellen? Ich hab für diese Fragen immer noch keine Antwort gefunden, ich weiß aber nicht, ob ich weiter fahren würde, wenn ich den roten Sonnenschirm des Antwortmannes am Straßenrand sehen würde.



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